Everesting | Sa 06.07.19 | Innsbruck | 05.00 Uhr
Everesting 2019Strecke: Mühlauer Platzl (Innsbruck) - Rechenhof - Hochrum - Arzl - Mühlauer Platzldst: 9,5 km / Rundeuh: 295 Hm / Runde Googel-Earth-LinkFotos GittiEveresting DeutschEveresting InternationalHenri Lesewitz Report über sein Projekt Everesting
Wären die Brunnen nicht gewesen hätte ich nicht so viel Zeit verloren, aber dann hätte ich ziemlich sicher, aufgrund der Hitze, aufgeben müssen. | Foto: B. Kugler
Solange dein Körper noch Heißhunger bzw. Heißdurst hat, du dir die Frage nicht stellst wieso man das eigentlich macht und keine Aasgeier über dir kreisen, ist alles noch in Ordnung.
Wie alles begann – Zwei Stunden und vierzig Minuten Fahrzeit wären 2011 bei der Salzkammergut Trophy Tour A (MTB-Marathon), die 7100 Höhenmeter und 214 km misst, für mich noch möglich gewesen bis es dunkel wird. Hochgerechnet mit meiner Durchschnitts-geschwindigkeit von 15 km/h (brutto) wären in zwei Stunden und vierzig Minuten noch 40 km möglich gewesen. Das entspricht ungefähr der Fahrt von Innsbruck auf den Patscherkofel und retour, der 37 Kilometer und knapp 1700 Hm misst. In Summe entspräche das dem Mount Everest. Die Salzkammergut Trophy Tour A ist das längste MTB-Rennen der Welt das bei Tageslicht, zwischen 05.00 Uhr Morgens und 21.30 Uhr Abends, zu finishen ist wenn man in die offizielle Wertung kommen möchte. In Mitteleuropa entspricht das einer Zeit von 16 Stunden und 30 Minuten.
Everesting 2019 – die Jahreszahl könnte ich mir eigentlich sparen weil es kein zweites Mal geben wird.
Seit 2011 kennt mein Filter diese Daten und deshalb übersehe ich den Everesting-Bericht in der Tourzeitschrift aus dem Jahre 2015 nicht. Auch Henri Lesewitz Reisejournalist der Bikezeitschrift und Mountainbike Marathon Fahrer der ersten Stunde berichtete in der August-Ausgabe 2016 von seinem Everesting Projekt – sehr lesenswert (Das Everest-Experiment: 8848 Höhenmeter in einem Rutsch). Zwischenzeitlich vergaß ich immer wieder dieses Projekt, bis ich wieder einmal einen Bericht über das Everesting in der diesjährigen Tour Zeitschrift las und sich plötzlich am 06.07.2019 dafür ein idealer Termin aufdrängt. Alle Ampeln stehen auf grün – Fitness, Gewicht, Jahreszeit und Wetter passen für die Mega-Challenge. Öffentlich, als Veranstaltung auf Facebook ausgeschrieben gibt es ein paar Interessierte aber außer mir keine weiteren TeilnehmerInnen.
Bernhard und Gitti werden mich auf ein paar Runden begleiten – haben sie versprochen und eingehalten.
Bernhard fährt ab 08.30 Uhr bis 12.00 Uhr Mittag neun Runden mit. Gitti ist ab 12.00 Uhr mit ein paar Unterbrechungen bis zum Schluss dabei und fährt wie Bernhard ebenfalls über 3000 Höhenmeter.
So absurd das für viele klingen mag, aber das Rundenfahren hat einen speziellen Reiz. Ich kenne das vom Skaten und Laufen im Winter und vom Mountainbike X-Country fahren.
Nur das Zählen der Runden ist schwierig.
Aber dafür gäbe es eigene Rundenzähler wie sie Bus-Reiseleiter zum Zählen ihrer Gäste verwenden – ein Tipp von Fredi der hin und wieder auf der Bahn läuft. Was das Rundenzählen betrifft hat meine gewählte Runde mit 9,5 Kilometern, eine fast schon perfekte Distanz fürs Zählen. Die erste Kilometerzahl, nach der zehnten Runde die erste und die zweite Kilometerzahl entsprechen ganz einfach der Anzahl der zurückgelegten Runden. Nach zwanzig Runden wird zu den ersten beiden Zahlen eine Runde addiert.
Die Westauffahrt zum Rechenhof ist für den öffentlichen Verkehr gesperrt und im unteren Abschnitt gibt es auf den Zufahrtsstraßen der Anrainer sehr wenig Verkehr. Auch die Abfahrt vom Rechenhof bis nach Hochrum ist sehr verkehrsarm und die Verbindungsstraße zwischen Hochrum über Arzl nach Mühlau führt großteils bergab – deshalb ist der Verkehr wegen dem hohen Tempo auf diesem Abschnitt auch kein Problem. Diese Strecke zum Rundenfahren habe ich schon lange im Kopf und ist wie gemacht dafür. Außerdem sind auf dieser Strecke immer viele Radfahrer unterwegs, das sorgt für Ablenkung und ist Nahrung für den Kopf. Entlang der Strecke nehmen zahlreiche Brunnen die Angst vorm Verdursten oder in der Hitze zu Kollabieren. Das M-Preis Baguett in Hochrum befindet sich ebenfalls unmittelbar an der Stecke und erfüllt alle Verpflegungswünsche ohne großen Zeitverlust.
Das Thermometer zeigt ab der Mittagszeit über 30° Celsius. Aufgrund der Hitze verliere ich auf jeder Runde beim Kühlen von Kopf, Arme und Beine beim Brunnen in Arzl mindestens drei Minuten pro Runde. Die Auffahrtszeiten werden ebenfalls entsprechend langsamer. Das Ziel den Mount Everest in 14 Stunden zu erreichen ist kurz nach Mittag nicht mehr möglich und am Ende der größten Hitze, nach 22 Runden, wackelt der von mir selbst gesetzte Zielschluss, bei einsetzender Dunkelheit um 21.30 Uhr. Leider verdunkelt sich der Himmel erst um 19.00 Uhr und es wird ein paar Grade kühler. Der darauf einsetzende kurze schwache Regen reduziert die Temperatur an diesem Tag um insgesamt zehn Grad – jetzt ist es wieder so angenehm kühl wie um fünf Uhr morgens.
Bernhard der mich insgesamt zehn Runden begleitet verlässt mich in der 25 Runde mit den Worten „lass dich nicht unterkriegen“ – und er kennt sich aus als erfahrener Brevet-Fahrer und Finisher bei «Paris-Brest-Paris».
«Lass dich nicht unterkriegen!»
Seine Worte sind jetzt auch meine letzte Motivation auf den verbleibenden sechs Runden. In der letzten Runde fällt der Tacho in den steilsten Abschnitten unter sieben Stunden-kilometer – «da kann ich ja gleich zu Fuß gehen» schreie ich mit kraftloser Stimme in den dunklen Wald – zum Glück ist der Tacho nur noch unter den Straßenlampen zu sehen.
Auf der letzten Runde um 21.45 Uhr, es ist bereits dunkel, sage ich lautlos Danke zu den Polizisten die an unseren unbeleuchteten Rennräder kommentarlos vorbeifahren. Kaum auszudenken wenn sie mir das Weiterfahren in der letzten Runde verboten hätten.
Angekommen bei meinem Auto, das ich als Labestation in Hochrum abgestellt habe, ziehe ich vorsichtig mein Smartphone inklusive Powerbank aus meiner Trikottasche. Hurra, das Smarphone ist noch eingeschaltet, ob die Strava-App die letzten 17 Stunden ohne Aussetzer aufgezeichnet hat wird sich jetzt zeigen. Die Strava-App ist noch aktiv. Nach dem Drücken des Beenden-Buttons synchronisiert die Strava-App die Aufzeichnung verdächtig lange. Ihr scheint das Eversting genauso zuzusetzen wie mir. In dem Zusammenhang sei erwähnt, dass die Strava-App beim Aufzeichnen einer Fahrt keine Informationen zu den zurückgelegten Höhenmetern einblendet. Deshalb war das Zählen der Runden, auf denen ich 295 Hm pro Runde zurücklege, so entscheidend.
Hoffentlich habe ich mich beim Rundenzählen nicht vertan!
Drei Minuten später zeigt die Strava-App das geglückte Ergebnis an: 278 km, 8967 Hm in 16 Stunden Bewegungszeit und 17 Stunden Bruttozeit.
ps: Ohne Betreuung meiner Schwester Gitti, die zum richtigen Zeitpunkt, genau das serviert nach dem mein Körper verlangt, hätte ich vermutlich aufgegeben.